Bevor es hier allzu lange still bleibt: Einige unfertige (!) Gedanken im Anschluss an den Abschnitt §27.1 „Die Verborgenheit Gottes“:
Welche Rolle spielt die „Negative Theologie“ für das Verständnis der Verborgenheit Gottes? Bsp.: Postmoderne Philosophen (Achtung: totale Pauschalisierung!) zeigen die Begrenztheit menschlicher Vernunft und Erkenntnisfähigkeit radikal auf. Wirklichkeit ist Konstruktion des Subjekts (und/oder seiner ihn bedingenden Umwelt) und kann deshalb nicht den Anspruch auf letzte Wahrheit erheben. Damit aber lassen sich dann immer auch die eigenen Gottesbilder kritisieren: Sind sie letztlich nicht auch Konstruktionen unserer allzu menschlichen Interessen und Bedürfnisse? Deshalb sind sie immer wieder zu destruieren oder zumindest einzuklammern.
Barth hält diese Methode für zumindest uneindeutig. Woher kommt diese Erkenntnis der Fragwürdigkeit der eigenen Gottesbilder? Aus der negativen Theologie? Aus den durch die postmoderne Philosophie (wie schon durch die vorsokratischen Skeptiker) aufgewiesenen Aporien der menschlichen Erkenntis? Für Barth ist „die Verborgenheit Gottes die Verborgenheit Gottes; sie ist eine seiner Eigenschaften. (…) Es sind nicht Reflexionen über Raum und Zeit und über die Kategorien unseres Denkens, es sind nicht die Aporien, in die wir uns bei diesen Reflexionen verwickeln können.“ (KD II/1, 206)
Das Unvermögen Gott zu erkennen ist kein Satz der allgemeinen Vernunft, sondern ein im Nachhinein der Offenbarung festgesteller Satz über Gottes Verborgenheit.
Selbst der Gott, den wir (mystisch und postmodern) nicht erkennen, ist noch unsere Konstruktion und dieses Nicht-Erkennen eine Leistung der menschlichen Vernunft, wenn auch im Gewand ihrer eigenen Kapitulation.
Barth sucht die Wende des Denkens: Im Ergriffensein von der Offenbarung denkt man sich nicht mehr von einer allgemeinen Position (und sei es die Unerkennbarkeit Gottes) zu diesem Gott hin – man kommt her vom Gott, der geredet hat und immer wieder reden muss, damit wir nicht in eigenes, frommes oder unfrommes Palaver verfallen.
Das fromme Bejahen wie das kritische Verneinen von Gottesaussagen bleibt im Letzten unser eigenes Bejahen und Verneinen. Durchbrochen wird dieses Selbstgespräch, so Barth, erst durch Joh 1,14: „Das Wort ward Fleisch.“ Wo Gott von sich her zu uns kommt, da ist Gericht und Gnade: Gericht über alle menschliche Rede von Gott, auch die verneinende! Und Gnade über alle menschliche Rede von Gott, die sich dann als Hinweis, als Zeugnis, als Zeigen auf das Ereignis seiner Selbstoffenbarung bezieht.
21. März 2010 at 21:12
Ich frage mich nur immer, wie Barth das „Ergriffensein durch die Offenbarung“ inhaltlich füllt. Wie lässt sich eine Offenbarung, die schlechterdings nichts mit den inneren Weltverhältnissen, nichts mit menschlicher Selbst- und Welterkenntnis zu tun hat, überhaupt als Offenbarung begreifen und erfassen?
„Selbstoffenbarung Gottes“ klingt gut – aber worauf bezieht die sich überhaupt (da es nach Barth ja keinen „Anknüpfungspunkt“ gibt)? Wie gelangt ein radikal unvermitteltes Handeln Gottes (und als solches bezeichnet er es ja) überhaupt in den Erfahrungsraum des Menschen, von dem her er dann die Anrede Gottes als Selbstoffenbarung Gottes qualifizieren könnte?
21. März 2010 at 23:30
Die inhaltliche Füllung ergibt sich, soweit ich es sehe, ganz klassisch über die Rechtfertigungslehre. Und die ist ja bei Calvin z.B. „wahre Gottes- UND Selbsterkenntnis.“ Gott in Christus als Richter und Retter, wir in Christus als Sünder und Gerechtfertigte.
Zur Frage der Vermittlung: Die ist bei Barth christologisch gefasst; in den Erfahrungsraum des Menschen kommt sie durch Christus, Inkarnation – so weit, so unproblematisch, oder?
23. März 2010 at 06:45
Letzteres kann mich freilich nur wenig befriedigen. Auch die Zauberformel Christologie kann nichts vermitteln wo es nichts zu vermitteln gibt. Denn hier findet bei Barth doch gar keine Vermittlung statt, sondern als Ort der göttlicher Souveränität an dem Gott „sich selbst zum Vollstrecker seines Heilswillens macht“ (Barth). So weit so gut: Aber mein Kritikpunkt bleibt. Ob mit christologischer Zauberformel oder ohne: Es bleibt der Anspruch einer unvermittelt in die Weltwirklichkeit eindringenden Offenbarung, von der ungeklärt ist und bleibt, wie der „natürliche“ Mensch sich zu ihr verhalten soll. Das ganze kann man dann nur so auflösen, dass die säkulare Welt ein zur Wahrheit unfähiges Gebilde ist und ihre Grenze zur christlichen Gemeinde durch eine grobe Erwählungslehre gesetzt ist. So banal ich Barth hier karikiere, exakt so funktioniert ja leider seine politische Theologie. Der Staat, bzw. die säkulare Welt als ein für die Wahrheit blindes Etwas, von dem kein Beitrag zu jener zu erwarten ist. Barth hat das Religiöse (was von seiner geschichtlichen Position her freilich verständlich war) aus dem Boden der menschlichen Kultur herausoperiert und liefert m.E. keine plausible Erklärung dafür, wie er den Graben zwischen Menschlichem und Göttlichem wieder schließen will (soweit ich es in Erinnerung habe, ist ja auch gerade die lutherische Paradoxie einer communicatio idiomatum von menschlichem und göttlichem in Christus bei Barth ausgetilgt).
Soweit ein Beitrag am frühen Morgen mit Kaffeetasse in der Hand. Gähn.
23. März 2010 at 19:57
Hallo Markus! Dein Resumee ist schlüssig und aus humanistischer Sicht gewissermaßen erschütternd richtig. Der Graben zwischen Menschlichem und Göttlichem ist nicht zu schließen. Jedenfalls nicht von der menschlichen Seite aus. Erwählung und radikale Souveränität Gottes ist dabei entweder Ärgernis (für den Humanisten „Wer immer strebend sich bemüht den können wir erlösen.“) oder Befreiung. Befreiung natürlich nur dann, wenn ich als Christ darin meine Entlastung erkennen kann.
Die Formel „Christologie“ kann tatsächlich nichts vermitteln. Das kann nur Christus. Persönlich. Davon kann ich keinen Humanisten „vernünftig“ überzeugen. Ich kann nur davon zeugen, also darauf zeigen und von der Last befreit sein es hinge an mir, dass der „Hingewiesene“ es be- bzw. ergreift.
26. März 2010 at 22:16
Hallo Tim,
danke für deinen Kommentar zu meinem Kommentar.
Zum Glück (oder: Gott sei Dank) gibt es ja noch Alternativen zu dem barthianischen Modell. Nämlich ein solches, indem Gott nicht der Welt gegenübersteht, sondern selbst ihr Grund ist (bitte nicht pantheistisch missverstehen). Nur dort, wo Gott selbst Grund von Menschlichem und Weltlichem ist, wo er die Essenz aller Wirklichkeit in sich trägt, kann ich Welt und Gott so ins Verhältnis bringen, dass die Schöpfung nicht ein kontingenter Akt eines launischen Gottes ist („Mit der Welt spielt die Allmacht gegen sich selbst“; H. Blumenberg), sondern etwas mit diesem selbst zu tun hat. Eine Welt, die als Ganze seinem Schöpfer entfremdet gegenübersteht, mag vor allem in evangelikalen Kreisen eine wunderbares Klärungsmuster für die Schrecklichkeiten der gottlosen Gesellschaft darstellen, aber es bedeutet eben auch einen Grunddualismus, der jeden Gläubigen zu Gratwanderern macht und jeden „Ungläubigen“ zu einem Ausdruck von Gottesferne macht.
Wenn Barth sagt, der „Gott Schleiermachers kann sich nicht erbarmen“, dann sage ich: „Der Gott Barths kann überhaupt nichts – außer zu negieren“.
26. März 2010 at 22:22
Sorry, das ich auf deinen Unterschied von Christologie und Christus nicht eingegangen bin: der ist natürlich völlig richtig!
Von der Last kann mich nur ein Christus befreien, der Göttliches und Menschliches in sich vereinigt, im Form eines dialektischen Spiels.
Diesen Christus finde ich etwa bei Luther; bei Barth finde ich ihn nicht.
27. März 2010 at 11:04
Hallo Markus! Danke für die weiteren Ausführungen. Ich kann sie nachvollziehen, teile sie aber nicht. Ich sehe in dem ganz und gar „profanen“ Gott, den Du als Alternative vorstellst einen menschlich gemachten.
Ich erlebe aber den absolut „unfassbaren“ Gott, der nur in Jesus überhaupt greifbar ist, nicht als launisch, sondern als liebenden und souveränen Gott, dem ich allerdings nicht in die Karten schauen kann. Diese Sicht kann man jetzt als unwissenschaftlich naiv abtun oder als eine höhere Ebene des Verstehens werten, bzw. als blosse Einsicht in das „Nichtverstehen können“.
Dabei den „Ungläugigen“ als gottesfern einzuordnen (ich sage bewusst nicht „bewerten“) halte ich nicht für problematisch, wenn ich dabei die Gelassenheit habe, an diesem Zustand nicht selbst etwas ändern zu können oder zu müssen, sondern lediglich auf die Möglichkeit der Gottesnähe hinweisen darf.
Und mit dem Verweis auf Christus enden damit dann auch schon meine Möglichkeiten. Nur deshalb predige ich ihn – zur Not auch mit Worten.
Diesen Gott, diesen Christus finde ich (auch) bei Barth.
Und für mich kann er nicht nichts, außer zu negieren, für mich kann er alles. Wenn gleich ich bei weitem das wenigste verstehe.
PS: Nicht wundern, wenn ich auf eine mögliche Antwort von Dir nicht reagiere. Bin für zwei Wochen im Dschungel Ugandas unterwegs und dementsprechend offline.
27. März 2010 at 14:57
Also nun muss ich Tim sozusagen in den Urwald hinterherrufen:
Ich weiß ja nicht, was du mit einem „profanen“ Gott meinst, aber der Gott, den du schilderst ist eben genau, dasjenige, was ich bereits geschrieben habe: Eine einzige Negation. Er ist nämlich alles das, was die Welt nicht ist. Gegen einen Gott, den wir am Ende alle nicht verstehen, habe ich gar nichts einzuwenden. Allerdings kommen wir damit nicht weiter, wenn wir am Ende dann immer auf die Unfassbarkeit Gottes verweisen.
Und übrigens: Was ist gegen einen profanierten Gott einzuwenden? Ich wage einmal eine These: Was ist das Kreuz anderes als eine Profanierung des Göttlichen?
27. März 2010 at 14:18
Schön, wie angeregt ihr hier diskutiert. Will auch gar nicht groß dazwischen funken, nur drei Rückfragen an Markus und eine an Tim:
Markus 1: Du schreibst: „Eine Welt, die als Ganze seinem Schöpfer entfremdet gegenübersteht, mag vor allem in evangelikalen Kreisen eine wunderbares Klärungsmuster für die Schrecklichkeiten der gottlosen Gesellschaft darstellen…“ Mir scheint, du projizierst da manchmal diese evangelikale Theologie auf Barth, den ich selbst aber kraft seiner Dialektik für differenzierungsfähiger halte. Zugegeben: Eine veritable „Theologie der Kultur“ wie bei Tillich (den ich so hier und da aus deinen Zeilen sprechen höre ;)) findet man bei ihm nicht. Und was Barths Kommunikationsfähigkeit mit „der Welt“ angeht habe ich durchaus auch meine Frückfragen! Aber, ob es so grob geht („launischer Gott“ etc.)? Ich finde, Barth hat da mehr zu sagen.
Markus 2: Dass du bei Barth keinen Christus finden kannst, der Gott und Mensch zusammenbringt, wundert mich auch. Die Inkarnationslehre scheint mir tatsächlich die Mitte seiner Theologie (in der KD) zu sein. Um auch mal grob zu werden 😉 – bei Schleiermacher braucht’s dann vielleicht gar keinen Christus mehr, bei dem bisschen „Hemmung“? Aber natürlich ist das Unfug. Ich glaube eben, so einfach geht es weder bei Barth noch bei Schleiermacher…
Markus 3: Ich warte auf dein Schleiermacher- oder Tillich-Blog! Ehrlich, fänd ich spannend!
Tim: Ich muss ja hier eigentlich gar nichts mehr schreiben – du vertrittst Barths Thesen ja in Reinkultur! 🙂 Interessehalber: Welche (Lese-)Erfahrungen hast du denn bisher mit Barth gehabt?
27. März 2010 at 15:00
Jetzt schaffe ich es kurz vorm Abflug doch noch zu antworten.
Ich bin kein großer Theologe.
Mit Barth kam ich in der Oberstufe zum ersten mal in Kontakt und das ist – oh jammi – 20 Jahre her.
„Dominus dixit!“ ist das, was sich da am stärksten eingeprägt hat.
Ich habe dann später ein Magisterstudium absolviert bei
dem ich Theologie als Nebenfach hatte.
Hier habe ich im 2ten oder 3ten Semester
„Dogmatik im Grundriss“ (Zürich 1947) gelesen, eine Zusammenfassung die Barth selbst von seiner ersten nach dem 2ten Weltkrieg gehaltenen Vorlesung (Bonn)
verfasst hat. Hat mich sehr angesprochen.
Später dann Tillich, Bultmann, etc. die üblichen Verdächtigen.
Gegen Ende des Studium die Herren Sanders, Dunn und Wright.
Ich selbst bin in einer FeG gross geworden, habe im Rahmen meines Studiums viele meiner „Grundüberzeugungen“ in Frage stellen dürfen, und die meisten davon hinter her aus einer „Neuen Perspektive“ (kleines Wortspiel) wieder neu annehmen können.
Ich habe also wenig von Barth gelesen.
Das was ich gelesen habe scheint mich aber wohl
geprägt zu haben.
Und dein Blog macht so richtig Spass!
27. März 2010 at 15:18
Postwendend meine Antworten:
1) Ich leugne nicht, dass ich meine Probleme mit evangelikalem Christentum auf Barth übertrage (es ist allerdings auch kein Zufall, dass Barth hier gemeinhin ein akzeptierter Theologe ist) und auch nicht, dass ich Barth sehr von Tillich und Schleiermacher her kritisiere. Damit bestätige ich lediglich, wie sehr Theologie an den Ort gebunden ist, an dem man selber steht.
Mir ist sehr bewusst, dass ich Barth nicht in jeder Hinsicht gerecht werde. Ich habe mich sehr mit den Konsequenzen seines theologischen Ansatzes beschäftigt, der sicherlich nicht jeder seiner Einzelfragen gerecht wird.
Aber noch eine kritische Rückfrage: „Kraft Barths Dialektik“ – mit Verlaub: welche Dialektik? Es gibt doch gar keine Dialektik bei Barth, sondern nur ein asymmetrisches Gefälle.´
2) Natürlich gibt es bei Barth eine Vermittlung von Göttlichen und Menschlichem in Christus – aber eben gerade keine dialektische! Es gibt (soweit ich es erinnere) eine Überformung des Menschlichen durch das Göttliche und eben nicht die o.g. lutherische Paradoxie.
Über die Schleiermachersche Christologie und Soteriologie ist in der Tat einiges zu sagen – was hier den Rahmen sprengen würde. Für mich gilt freilich: Was steht am Ende näher an der Wirklichkeit? Von Barth her kann hier freilich sogleich der Prostest her ertönen, dass die Wirklichkeit immer schon von der Sünde her verformt und damit kein Kriterium ist. Aber vielleicht ist die Verformung ja doch nur eine Hemmung…
Die Stärke von Tillich und Schleiermacher ist doch, dass sie versuchen, von der Selbst- und Welterfahrung her die religiöse Frage zu konstruieren, während Barth immer mit dem Primat der Offenbarung auffährt – und das finde ich auf Dauer so ermüdend. Weil im Zweifelsfall dann immer das Selbst- und Weltbewusstsein an die Offenbarung angepasst werden muss – anstatt eine kluge Dialektik zu suchen.
Daher sind für mich Tillich und Schleiermacher im Übrigen die wahren dialektischen Theologen!!
3) Eine sehr reizvolle Anfrage…
Um es noch einmal zu sagen: Ich freue mich sehr über die Möglichkeit dieses theologischen Diskurses. Es gibt doch kaum etwas erhabeneres als sich um der Wahrheit unserer Existenz willen auseinanderzusetzen (im positiven Sinne).